Haushaltskrise: Konzept mangelhaft

Die Gemeinde Jemgum befindet sich in einer dramatischen Haushaltskrise. Der Einbruch der Gewerbesteuer im Jahr 2018 hat die tiefen Löcher im Haushalt der Gemeinde offengelegt. Diese Löcher sind das Ergebnis einer seit Jahren verfehlten Politik. Wir stehen vor einem Schuldenberg in Millionenhöhe.

Notwendig ist ein Kurswechsel in der Haushaltspolitik. Für den Kurs in Richtung „ausgeglichener Haushalt“ braucht es ein Konzept. Mehr noch: Es ist gesetzlich vorgeschrieben. Das sogenannte Haushaltssicherungskonzept (HSK) muss vorgelegt werden, wenn der Haushalt einer Kommune nicht mehr ausgeglichen werden kann, wenn also die Erträge nicht ausreichen, um die Aufwendungen zu decken.

Bereits im Mai 2018 haben wir als Ratsgruppe Jemgum 21 / Wir für Jemgum gefordert, sich jetzt schnell an die Arbeit zu machen. Ein entsprechender Antrag führte im Gemeinderat zu einem einstimmigen Beschluss.

Die Kommunalaufsicht unterstrich diesen Beschluss und forderte die Gemeinde im Juni 2018 auf, „unverzüglich“ ein HSK zu entwickeln. Doch Bürgermeister Hans-Peter Heikens machte seine „Hausaufgaben“ nicht und setzte den Beschluss trotz mehrfacher Erinnerung und Ermahnung nicht um.

Entgegen dem Ratsbeschluss legte der Bürgermeister das Konzept erst eine Woche vor der Ratssitzung am 28. Januar 2019 vor, in der es verabschiedet wurde. (Hier das vollständige Konzept zum Download, pdf 4,8 MB).

Nicht einmal der Finanzausschuss konnte das Konzept im Vorfeld beraten. Dieses Verfahren ist entschieden zu kritisieren. Gleichwohl verabschiedete der Rat die Vorlage mit den Stimmen von SPD/FDP – gegen die CDU und gegen Jemgum 21 / Wir für Jemgum.

Konzept widerspricht gesetzlichen Anforderungen

Aber auch inhaltlich ist das Konzept unzureichend. Es ist in keiner Weise inhaltlich geeignet, um die Gemeinde finanziell wieder auf Kurs zu bringen. Und es widerspricht den gesetzlichen Vorgaben.

Gesetzliche Grundlagen für ein Haushaltssicherungskonzept

Die Grundlagen für ein Haushaltssicherungskonzept (HSK) sind im Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetz (NKomVG) geregelt.

In §110 Abs.8 NKomVG heisst es:

(8) Die Kommune hat ein Haushaltssicherungskonzept aufzustellen, wenn der Haushaltsausgleich nicht erreicht werden kann oder eine Überschuldung abgebaut oder eine drohende Überschuldung abgewendet werden muss.

In dem Haushaltssicherungskonzept ist festzulegen,

1. innerhalb welcher Zeiträume der Haushaltsausgleich sowie die Beseitigung der Überschuldung oder der drohenden Überschuldung erreicht,

2. wie der im Haushaltsplan ausgewiesene Fehlbetrag und die Verschuldung abgebaut und

3. wie das Entstehen eines neuen Fehlbetrages und einer zusätzlichen Verschuldung vermieden werden sollen.

Das von der Gemeinde vorgelegte HSK muss von der Kommunalaufsicht (angesiedelt beim Landkreis Leer) genehmigt werden. Zur Beurteilung eines HSK muss sich die Kommunalaufsicht an genaue Vorgaben des Ministeriums halten. Diese sind in einem Erlass des Ministeriums geregelt (Download hier).

 

Anforderung: Ursachenanalyse

Der Erlass des Ministeriums zur Beurteilung eines Haushaltssicherungskonzepts (siehe „Gesetzliche Grundlagen“) schreibt vor, dass das HSK „die Ursachen der entstandenen Fehlentwicklung“ beschreiben muss.

In dem HSK, das im Januar 2019 vom Rat verabschiedet wurde, werden drei Ursachen benannt (Auszug hier), die hier kurz analysiert werden sollen:

1. Einbruch der Gewerbesteuer

Der Einbruch der Gewerbesteuer in 2018 – aufgrund der Entscheidung von astora/gazprom, in Jemgum keine Steuern mehr zu zahlen – ist keine „Ursache der Fehlentwicklung“, sondern hat die wahren Fehlentwicklungen seit Jahren überdeckt (= mit Geld zugeschüttet).

Daraus hat sich aber im Verborgenen eine weitere krasse politische Fehlentscheidung ergeben: Gewerbesteuer-Einnahmen müssen in etwa zu 85 Prozent an Bund, Land und vor allem den Kreis (Kreisumlage) abgeführt werden, allerdings mit zeitlicher Verzögerung von zwei Jahren. Statt dies zu kalkulieren und das Geld dafür zurückzulegen, wurde mehr Geld aus den Steuereinnahmen ausgegeben als der Gemeinde gehörte. Allein daraus ergibt sich in 2019 die Notwendigkeit, Überziehungskredite in Millionenhöhe aufzunehmen. Von dieser politischen Fehlentscheidung ist im HSK natürlich keine Rede.

2. Das „strukturelle Defizit“

JA, ein solches Defizit gibt es seit vielen Jahren – also die Tatsache, dass die Gemeinde mehr Geld ausgibt als sie einnimmt. Das kann nicht gutgehen, wie jede Bürgerin und jeder Bürger aus eigener Erfahrung weiß.

Der Begriff „strukturelles Defizit“ legt aber nahe, dass die Gründe dafür „strukturell“ seien, also nicht beeinflussbar. Das ist falsch. Denn das sogenannte „strukturelle Defizit“ ist zu weiten Teilen selbstverschuldet.

Beispiel Abwasser: Die politische Entscheidung in den 1990er Jahren, in Jemgum auf den Neubau eines Klärwerks zu verzichten und stattdessen die Abwasser nach Leer zu pumpen, ist eine krasse Fehlentscheidung. Diese hat uns in den vergangenen 20 Jahren über zwei Millionen Euro gekostet. So groß ist das Minus nach Abzug der Abwassergebühren. Aus Steuergeldern wird Jahr für Jahr das Loch im Abwasserbereich gestopft (allein dies ist gesetzwidrig). Die politischen Entscheider wissen seit vielen Jahren von diesem Defizit. Spätestens als vor ein paar Jahren die astora-Steuern sprudelten (und gleichzeitig die Zinsen für Investitionskredite in den Keller gingen), hätte der Neubau eines Klärwerks angepackt werden müssen. Damit hätte ein großer Teil des „strukturellen Defizits“ abgebaut werden können.

Aber auch in anderen Bereichen gibt die Gemeinde bis heute mehr Geld aus als nötig. Dies zeigen Vergleichszahlen aus anderen Gemeinden. Im HSK wird dies aber (natürlich) nicht ausgeführt.

3. Nachteile der Gemeindestruktur

Verwiesen wird hier auf die ländliche Prägung und die Nachteile, die sich durch geringe Bevölkerungszahl und große Fläche ergeben. Diese Hinweise sind richtig. Sie sind aber keine „Fehlentwicklung“, sondern ein grundsätzliches Problem.

Richtig ist, dass dies bei der Kalkulation von Finanzzuweisungen des Landes nicht ausreichend berücksichtigt wird.

Richtig ist aber auch, dass dies viele ländliche Gemeinden betrifft, die darüber aber nicht (nur) jammern, sondern sich darauf einstellen und Konsequenzen daraus ziehen, die eben nicht zu dauerhafter Verschuldung führen. Das Argument ist also nicht falsch, verdeckt aber die eigenen Handlungsspielräume der Gemeinde.

Fazit

Das im Januar 2019 beschlossene HSK stellt die Ursachen der Fehlentwicklung völlig unzureichend dar und widerspricht damit der gesetzlichen Vorgabe.

Schlimmer noch: Ohne klare Ursachenanalyse bleibt jedes „Konzept“ oberflächliche und nutzlose Makulatur – und wird die Krise nicht in den Griff bekommen.

 

Anforderung: Klare Ziele, klare Strategie

Der Erlass des Ministeriums zur Beurteilung eines Haushaltssicherungskonzepts (siehe „Gesetzliche Grundlagen“) schreibt vor, dass im HSK

  • „zeitlich festzulegen (ist), wann der Haushaltsausgleich wieder erreicht werden wird“ und

  • die dazu „notwendigen Maßnahmen werden konkret und verbindlich beschrieben“.

Blickt man nun in das HSK, das vom Rat im Januar beschlossen wurde, so ist festzustellen, dass diese beiden Vorgaben schlicht übergangen werden, vor allem die zweite.

Der Haushaltsausgleich soll „schnellstmöglich“ bzw. „innerhalb des Zeitraums der mittelfristigen Ergebnis- und Finanzplanung“ erreicht werden (S.18) heisst es ohne Nennung von Jahreszahlen.

Die dann folgenden Maßnahmen verteilen sich auf fünf folgende Jahre und sollen „Willen und die Bemühungen“ aufzeigen, dem Defizit zu begegnen, ABER:

„Jedoch bleibt festzuhalten, dass all diese Bemühungen nicht ausreichen, um das aufgezeigte jährliche Defizit in Höhe von etwa 1,3 Millionen Euro in einen positiven Bereich zu führen.“ (HSK 2019, S.22)

Deshalb seien „zwingend weitere Maßnahmen“ vorzunehmen. Dann wird aber keine Strategie entwickelt, sondern nur ein weiterer „Maßnahmenkatalog“ aufgeführt, der helfen soll, das Minus zu reduzieren. Allerdings finden sich hier nur Ankündigungen, z.B. weitere Konzepte zu entwickeln und über Einsparungen nachzudenken. Dagegen schreibt der Erlaß des Ministeriums ausdrücklich: „Der bloße Hinweis im HSK auf abstrakte Prüfaufträge genügt dabei nicht den besonderen Anforderungen…“.

Konkret wird es nur bei den Einnahmen: die Steuern sollen ab 2020 weiter erhöht werden. Dazu an anderer Stelle mehr (Anforderung: Ertragslage verbessern).

Fazit:

Das HSK stellt keine klare Strategie vor, die Haushaltskrise bis zu einem festgelegten Jahr zu überwinden. Das HSK entspricht damit nicht der gesetzlichen Vorgabe.

Anforderung: Ertragslage verbessern

Der Erlass des Ministeriums zur Beurteilung eines Haushaltssicherungskonzepts (siehe „Gesetzliche Grundlagen“) schreibt vor, dass im HSK „alle Möglichkeiten der Ertragsverbesserung“ überprüft werden sollen.

Steuererhöhungen

Tatsächlich wird das HSK hier ein bißchen konkreter: Grundsteuer und Gewerbesteuer sollen ab 2020 „sukzessive“ angehoben werden. Bürgerinnen und Bürgern und Gewerbetreibende müssen sich also auf höhere Steuern einstellen, auch die Zweitwohnungssteuer und die Hundesteuer werden hier genannt. Dass dieser Aspekt vergleichweise konkret ist, entspricht der bisherigen Vorgehensweise: Schließlich war es die ERSTE Maßnahme im Rahmen der Haushaltsberatungen, die Grundsteuer und Gewerbesteuer zu erhöhen. Statt über Einsparungen nachzudenken, wird lieber gleich den Bürgern in die Tasche gegriffen.

Gebühren

Die Gebührenhaushalte sollen „kritisch hinterfragt“ werden, mit dem Ziel, dass hier kostendeckend gearbeitet wird. Wozu das „hinterfragen“? Die Problembereiche liegen längst auf dem Tisch (v.a. Abwasser, Tourismus), konsequentes Handeln wird aber gemieden.

Neue Einnahmequellen

Lohnend auch ein Blick auf Punkt 11 der Liste: „Neue Einnahmemöglichkeiten werden erschlossen und konsequent umgesetzt“, heisst es rhetorisch forsch und zupackend. Die Wirklichkeit ist leider anders:

Schon im April 2018 beauftragte der Tourismusausschuss den Bürgermeister, die Einführung des Gästebeitrags zum 1.1.2019 vorzubereiten. Der Beschluss wurde vom Ausschuss im November wiederholt (jetzt zum 1.4.2019) und vom Rat im Dezember 2018 bestätigt. Die Umsetzung verläuft weiter im Zeitlupentempo. Für die Ausschuss-Sitzung im Februar 2019 legte der Bürgermeister einen Beschlussvorschlag vor, jetzt erst einmal eine Gutachterfirma damit zu beauftragen auszurechnen, wie hoch der Beitrag denn sein soll… Der Gästebeitrag wird zur unendlichen Geschichte – von „konsequenter Umsetzung“ kann keine Rede sein. Steuererhöhungen für Bürger und Gewerbetreibende sind da viel einfacher!

Fazit: Die gesetzliche Vorgabe wird bestenfalls in Ansätzen aufgenommen – das ist zu wenig!

Fazit: Wenn die Kommunalaufsicht die gesetzlichen Vorgaben ernst nimmt, kann sie dieses Haushaltssicherungskonzept nicht genehmigen.